Warum diese Erkenntnisse so wichtig sind? Ist einer oder mehrere Rezeptoren, die wie ein Motor den Brustkrebs antreiben, nachweisbar, ist die Antihormontherapie die richtige und wirksame Therapie. Sie blockiert diesen Prozess und bringt die Rezeptoren zum Erlahmen. Eine vergleichsweise belastende Chemotherapie mit vielen Nebenwirkungen ist nicht nötig, könnte aber ohne lebensbedrohliche Folgen angewendet werden. Hat die IHC jedoch ergeben, dass keiner der Rezeptoren vorhanden und der Brustkrebs ohne deren "Antrieb" entstanden ist, so wird üblicherweise eine Chemotherapie durchgeführt.
Dramatisch wird es dann, wenn die IHC durch einen Messfehler ein "falsch positives" Ergebnis gebracht hat, also wenn eigentlich gar keine Rezeptoren vorhanden sind, obwohl der Test etwas Anderes ergeben hat und daher die Hormontherapie gewählt werden würde. "Dann kann der der Irrtum lebensbedrohlich sein", sagt Wolfgang Schreiner vom Institut für Biosimulation und Bioinformatik.
Um die Sicherheit bei der Feststellung des Rezeptor-Status zu erhöhen, haben sich die Bioinformatiker an der MedUni Wien Daten von 3.241 PatientInnen aus 36 klinischen Studien angeschaut und für jeden Rezeptor ein Gen-Modell entwickelt. Schreiner erklärt: "Vor der Bildung des Eiweißstoffes für den Rezeptor liefert das Gen zunächst eine RNA-Kopie, die sozusagen den "Bauplan" für den Rezeptor darstellt. Mit Hilfe des Gen-Chips können wir nachweisen, ob diese RNA-Kopie im Tumorgewebe vorhanden ist. Das ist ein wichtiger Marker." Gleichzeitig wurden jeweils auch so genannte Co-Gene identifiziert, die im Gen-Netzwerk am zweitstärksten mit der Rezeptorbildung zusammenhängen.
Die Informationen aus der IHC und aus der Expression der Rezeptor-Gene sowie der Co-Gene wurden in ein solides, mathematisches Modell gegossen, mit dessen Hilfe man ziemlich genau falsche Befunde ausschließen kann. "Diese Reihe könnte man beliebig lange fortsetzen", sagt Schreiner. "Wir könnten nun weitere Omics-Datenquellen mit in unsere Analyse nehmen, eine nach der anderen. Bis wir bei den falsch positiven oder negativen Befunden fast gegen Null gehen. Das heißt dann Sicherheit."
Diese Fusion von Omics-Daten, also molekularbiologischen Daten aus verschiedensten Blickrichtungen, wird es den WissenschaftlerInnen künftig ermöglichen, bei der Diagnose und Therapie – ganz entsprechend der personalisierten Medizin – immer präziser zu werden. "Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Spitzenmathematik für die Precision Medicine nutzbar zu machen", so Schreiner.
"Die Herausforderung ist, eine maßgeschneiderte Therapie anzubieten und damit gezielter und genauer die richtige Behandlung durchführen zu können, um nicht unnötig nebenwirkungstragende Behandlungen anzuwenden. Es ist insgesamt das Ziel des Comprehensive Cancer Centers der MedUni Wien und des AKH Wien (CCC), noch selektiver und individueller zu behandeln", sagt Heinz Kölbl, Leiter der Klinische Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und gynäkologische Onkologie, die ebenfalls an der Studie beteiligt war.
Und Christian Singer, Mitglied des CCC und Leiter des Labors für erblichen Brust- und Eierstockkrebs und Leiter der Senologie an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der MedUni Wien ergänzt: "Weil der Rezeptorstatus weiterhin einer der wichtigsten Tumorbiologischen Parameter darstellt, ist Hinzunahme von molekularbiologischen Daten zur klassischen Immunhistochemie ein Schritt hin zu einer noch exakteren Tumorcharakterisierung. Sollten sich die Ergebnisse in unabhängigen Studien bestätigen ist dies ein wichtiger Qualitätsschritt, der Patientin und Arzt ein bislang nicht erreichbares Maß an diagnostischer Sicherheit ermöglicht."
MEDICA.de; Quelle: Medizinische Universität Wien